
Walther Soyka
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Walther Soyka (1965 - 2025)
Der Feinste von uns allen
Mit dem Tod des Großmeisters der Wiener Knöpferlharmonika, Walther Soyka, ändert sich der Sound von Wien.
Von Ernst Molden
Im Winter 2011, der wenigstens im steirischen Ennstal so eisig war, als wäre er ein Wiedergänger aus dem 20. Jahrhundert, spielten Willi Resetarits, Walther Soyka, Hannes Wirth und ich ein Konzert in Öblarn am Fuß des Grimming. Dort leben fidele Menschen, und wir blieben nachher noch ein bissl sitzen. Als wir durch die glitzernde Eisnacht in die Pension wanderten, bemerkte erstaunlicherweise keiner, dass der Walther fehlte. Anderntags aber erzählte uns der Veranstalter, er habe unseren Harmonika-Virtuosen noch rechtzeitig vor dem Erfrieren von der Friedhofsmauer pflücken können. Dort sei er beim Sternderlschauen eingeschlafen.
Was wir alles erleben, sagte, leise wie immer und auch irgendwie dankbar, der Walther dann beim Frühstück.
Der Walther. Er konnte höchst krawutisch werden, wenn man im Schriftverkehr sein stummes h vergaß. Ein Walter ohne h, sagte er, wäre ein völlig anderer Mensch. Und Recht hatte er: Das stumme h im Walther stand exemplarisch für seine Kunst. Ein Konsonant, den man kaum hört, aber immer spürt. Eine äußerlich verschwindende und eben dadurch umso profundere Veränderung der Welt. Wie Walther Soykas Musik.
Harmonikamusik entsteht, weil wissende Finger eine bestimmte Menge Luft aus einem flexiblen Balg über winzige Zungen verschiedener Tonhöhe lenken, indem sie auf Tasten oder Knöpferln drücken. Großartige Harmonikamusik, und die Musik Walthers war die beste, die ich jemals hörte, entsteht hingegen, weil eine feine Seele die Dosierung dieser Luft vollkommen zu kontrollieren vermag. Walthers bald hundertjähriges und nicht ungebrechliches Instrument konnte er dröhnen lassen wie ein Gewitter, aber er konnte auch so fein zeichnen damit wie mit einem Kartographen-Bleistift. Er hielt die Harmonika nicht vor sich wie viele Kollegen, nein, der große schlaksige Walther umwuchs sein Instrument im Spiel wie ein Baum, er wurde tatsächlich zur Harmonika, und diese wurde zur Verlängerung seines Selbst und seiner Phantasie.
Walther Soyka kam als jüngstes von acht Geschwistern auf die Welt und verbrachte eine Kindheit in Wien-Meidling. Sein Vater war der Publizist und Atomkraftgegner Walther Soyka, seine Mutter aber musizierte und hielt ihre Kinderschar dazu an, es ihr gleichzutun. Walther lernte Cello, als Teenager aber stieß er auf eine Ziehharmonika, und damit war seine Richtung klar. Während er eine Buchhändlerlehre absolvierte, eroberte er sich autodidaktisch sein – Anfang der Achtziger Jahre zutiefst anachronistisch gewordenes – Instrument. Er spielte es, bis er es konnte, er spielte es zunächst auf der Straße, dann ab 1983 zwanzig Jahre lang mit Roland Neuwirths Extremschrammeln. Von Neuwirth ans historische Wienerlied herangeführt, wurde er zum Großmeister seines Instruments. 2003 verließ er die Band. Jetzt gehörte ihm Wien, und er schenkte sich allen.
2007 lernten wir uns kennen, beim 40. Geburtstag des Punksängers und Schriftstellers Rainer Krispel, auf einer Party im Wiener Club Chelsea. Ich spielte dem Rainer eine Bonnie-Prince-Billy-Nummer auf Wienerisch vor, was den Walther zum Weinen brachte. Dann fragte er mich, ob ich einen Harmonikaspieler brauchen könnte, und ich schwöre, ich habe mich in meinem Musikantenleben vorher und nachher nie wieder so geehrt gefühlt.
Walther und ich spielten wohl fünfhundert Konzerte miteinander, viele zu zweit, einige mit den Neuen Wiener Concert Schrammeln, die meisten wohl mit Hannes Wirth und Willi Resetarits.
Willi, Hannes und ich haben dabei immer gespürt, wie sehr der Walther bei, mit und für uns stand, aber wir haben zugleich genau gewußt, daß sein musikalisches Innerstes zwar nicht weit weg, aber doch woanders zuhause war. Nämlich in den beiden Duo-Projekten, mit denen der Walther in den vergangenen zwanzig Jahren den Sound und das Material seines Lebens realisierte: Jenes mit dem Künstler und Zitherspieler Karl Stirner, und das andere, mit Walthers Lebensgefährtin, der 2023 verstorbenen Geigerin Martina Rittmannsberger.
Mit Karl Stirner transformierte Soyka die Tanz, also den Altwiener Instrumental-Folk, in etwas Flirrend-Psychedelisches, zutiefst Gegenwärtiges. „Tanz“ und Tanz 2“ heißen die beiden Alben mit dem Material dieses Wunderduos. Mit Martina Rittmannsberger aber zog Walther hinaus in die musikalische Bergwelt, weit hinter der Stadt. Aus den dortigen Landlermotiven spannen die beiden „Zwirn“ und „Mehr Zwirn“ (so die Plattentitel), hypnotische Musik, so etwas wie der Raga eines besseren Österreich. Wenn Walther mit Karl oder Martina beim wunderbaren Heurigen Hengl-Haselbrunner in Unterdöbling spielten, saßen übrigens gern weite Teile der Wiener Folk-Aristokratie im Publikum. Man hörte den Walther spielen und wußte: Das ist der Feinste von uns allen.
Irgendwann auf Tour haben der Walther und ich über unsere Alters-Vorstellungen gesprochen. Sein Konzept war überraschend genau. Er wolle in der Hauseinfahrt eines Vorstadthauses sitzen, sagte er, mit seiner Harmonika und bei kühlerem Wetter mit einer Decke. Und da wolle er spielen bis zum Ende, für niemanden und für die Welt.
Walther Soyka, verstorben am 26. März 2025, hinterlässt seine Musik, auf Dutzenden Alben. Er hinterlässt einen Berg antiker Harmonikas und einen Kontinent alter Wiener Volksmusiknoten. Er hinterläßt drei wunderbare Kinder, zwei Enkelkinder und eine weinende Stadt.
Ernst Molden (57), Liedermacher und Dichter in Wien-Erdberg, machte mit Walther Soyka 18 Jahre lang Musik.
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ein nachruf bedingt die fähigkeit in worte fassen zu können, was einem ein verstorbener war. wenn man - wie ich- von seinem thelepatischen zwilling amputiert wurde, hat man auf diese fähigkeit keinen zugriff. man starrt fassungslos auf die riesige wunde und blutet tränen.
so fasst man also in worte, dass man all das unmöglich in worte fassen kann.
walther hat uns immer als "diametral unterschiedliche zwillinge" bezeichnet. er wirkte philanthrop, ich misanthrop. er sagte im erstreflex "ja", ich "nein". er hatte daten-rettungs-software am computer installiert, ich einen daten-shredder. er merkte sich alle melodien, ich keine. (immer musste er mir die tonart der naechsten nummer ansagen).
in wirklichkeit waren wir beide beides.
diese wirklichkeit war das duo soyka_stirner.
walther hat geduldig gewartet, bis ich (die vom wienerlied multipel traumatisierte auster) aufging, und bereit war, das schenken von schoenheit als einen lebensweg zu begreifen.
einmal hat mich eine dame aus hamburg nach einem soyka_stirner gig nach unserem geheimnis gefragt. ganz im sinne walthers hab ichs ihr verraten (d. h. geschenkt) :
es war die ungelogenheit.
walther sagte einmal in gewohnt stiller wut ueber das zufrühsterben:
"achtung - fertig - aus."
ich teile diese wut.
und die schoenheit.
und die liebe.
danke walther❤️
Karl Stirner



